Ein Thema, dass viele Aikidoka immer wieder verwirrt – auch mich schon länger beschäftigt: Irimi und Tenkan. Oft Missverstanden und falsch interpretiert…
Hier möchte ich (wie schon so viele andere vor mir) versuchen, die Prinzipien ein bisschen zu erklären.
Beim Starten einer Bewegung im Aikido gibt es theoretisch nur zwei mögliche Positionsveränderungen – nach innen und nach außen.
Diese Bewegungen sollen mit dem Üben nach und nach verschmelzen, ähnlich wie bei der Atmung.
Die Bewegung nach innen wird irimi genannt und ist vergleichbar mit der Mentalität des Angreifens. Man geht so gut wie direkt auf den Partner zu, direkt in seinen Bewegungsspielraum, sein Zentrum, hinein. Wenn man angreifen soll, gibt es keine andere Möglichkeit, aber auch in der Verteidigung verfährt man so, um zuvorzukommen, um den Angriff zu kontern bevor er vollzogen ist.
Die kühle, kompromisslose Entschlossenheit zu dieser Eingangsbewegung nach vorne, auch einem vielleicht körperlich überlegenen Gegner, zu haben, das ist einer der wichtigsten Fähigkeiten im Sinne des Budo. Auch, wenn dieser Schritt in der ersten Betrachtung sehr schwer und „kamikaze-mäßig“ erscheinen mag, so kann dieses Verhalten letztenendes kampfentscheidend sein.
Irimi ist ein Schlüssel für das Verständnis des Budo, dass der Angriff die schlechteste Verteidigung ist, dass derjenige, der angreift, eben durch diese Handlung dem Verteidiger unterlegen ist.
Das vollständige Schriftzeichen für irimi besteht aus dem kanji für hineingehen oder etwas durchdringen und dem kanji für Körper – man bewegt also mit dem Körper in den Angriff hinein.
Die Bewegung nach außen, also aus der direkten Angriffslinie deutlich heraus, wird tenkan genannt und ist näher mit der Rolle und der defensiven Strategie des Verteidigers verwandt. Das Schriftzeichen besteht aus dem kanji für wälzen/rollen/lenken oder abwenden sowie für ändern. Hier entfernt man sich vom Gegner, weicht ihm aus, geht um ihn herum und/oder hinter ihn. Auf diese Weise entkommt man dem Angriff und hat mit einer kreisförmigen Bewegung seine Verteidigung, seinen Konterangriff eingeleitet. Der Angreifende gerät in die Peripherie der Sphäre des Verteidigers.
Für den Ungeübten mag es anfangs unglaubwürdig erscheinen, dass das funktionieren kann. Man muss mit Ausdauer die Praxis verfeinern, um diese findige Dynamik zu entdecken. Aber es ist fakt – der Angreifende verliert seine Kontrolle, gerade weil er der Anfallende ist und weil der Angefallene mit seinem ausweichenden Schritt (zum exakt richtigen Zeitpunkt!) reagiert.
Der Aikido-Student wird schnell feststellen, dass tenkan am stärksten die höheren Prinzipien des Aikido widerspiegelt, doch auch irimi wird angewendet und ist manchmal unvermeidbar, um tenkan umzusetzen. Beide Bewegungen werden oftmals in Kombination, ohne direkte Abgrenzung eingesetzt, sozusagen miteinander verschmolzen.
Zum „direkten hineingehen“ soll noch angemerkt sein, dass es ist nie der Fall sein soll, dass der Schritt sich direkt gegen die Richtung der angreifenden Kraft bewegt – das Resultat wäre lediglich ein Zusammenprall. Irimi im Aikido ist eine schräge, schneidende „hinein-Bewegung“, in einer ausweichenden Bewegung. Ebenso ist tenkan eine schräge „hinaus-Bewegung“. Der Angriff zielt vorbei, während der Verteidiger sich mit irimi vor den Körper des Angreifers und nahe an diesen heran stellt. Mit tenkan stellt sich der Verteidiger statt dessen daneben und so gut wie hinter den Angreifer.
Für den Geübten ist somit fast jede vollständige Verteidigungstechnik eine Kombination aus den zwei Schritten: zuerst ein Schritt zur Seite und auf den Partner zu, dann ein Schritt herum und von ihm weg. Mit dem ersten Schritt entgeht man dem Angriff, mit dem zweiten leitet man den Konter ein, die Aikido-Technik selbst. Die zwei Schritte gleiten mit der Zeit zusammen zu einer einheitlichen, harmonischen Bewegung, fast einem einzigen Schritt – „Die Technik wird geatmet“.
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